Stell Dir vor, Du bist unabhängig von Deinen Emotionen. Von den Wellen des Lebens. Was ich damit meine?
Ich meine damit, dass es uns stets gut geht, unabhängig davon, ob wir gute oder schlechte Gefühle haben. Ob uns gerade Ärger oder Eifersucht durchzieht, oder natürlich noch besser, Freude oder Glück.
In Die Herzensfreude berühren habe ich Dir gezeigt, wie Du die Freuden-Gefühle vertiefen kannst, indem Du Dich auf sie konzentrierst und sie verstärkst. Durch bewusstes Wahrnehmen und Lächeln.
Das gelingt manchmal, aber nicht immer. Manchmal sind die Niedergeschlagenheit oder die Wut so groß, dass wir gar nicht mehr lächeln wollen. Oder es hat in dem Moment einfach keinen großen, geschweige denn länger anhaltenden Effekt.
In diesem Artikel möchte ich dir zeigen, wie Du den Frieden erfahren kannst, der jenseits Deiner Emotionen steckt.
Emotionen und Gefühle – der Unterschied
In Anlehnung an die buddhistische Philosophie haben Gefühle nur drei Ausprägungen:
Angenehm, unangenehm und neutral.
Angenehme Gefühle sind alles Schöne, von dem wir mehr haben wollen. Unangenehme Gefühle sind die, mit denen wir uns schlecht fühlen und die wir in der Regel ablehnen. Und neutrale Gefühle sind solche, die wir gar nicht groß bemerken. Sie sind weder angenehm noch unangenehm, wie zum Beispiel die Abwesenheit von Zahnschmerzen oder kein Kopfweh.
Emotionen dagegen sind die Gefühle in ihrer individuellen Ausprägung: Liebe, Freude, Glück, Lust, Stolz oder Hass, Zorn, Ärger, Neid etc.
Das Problem ist: wir können nichts davon festhalten
Genau hier beginnt nämlich die ewige Rennerei: das Glück oder die Freude sind nur kurzfristig. Wenn wir an ihnen einseitig ausgerichtet sind, jagen wir den guten Emotionen hinterher. Was passiert? Im Glück sind wir eigentlich schon verunsichert, weil wir wissen, dass es bald aufhört. Wir geniessen gar nicht richtig. Das drohende Ende beeinträchtigt das gute Gefühl.
Im Unglück dagegen streben wir meist so schnell wie möglich nach einer Veränderung der Situation. Sie ist unangenehm und schwer zu ertragen. Wir sehnen uns nach der aufsteigenden Gefühlskurve. Und so sind wir eher selten ganz in der Gegenwart präsent.
Lohnt sich das denn, ganz in der Gegenwart zu sein?
Wenn ein Teil der Zeit sowieso aus eher unangenehmen Zuständen besteht, ist es doch nur gut, nach der schöneren Zukunft zu streben, oder?
Ich sage nein!
Falls Du diese Meinung hast, verstehe ich das natürlich. Aber irgendwie verpasst Du damit die Hälfte Deines Lebens, oder? Und Du lehnst Dich immer gegen das, was ist. Und wer weiß, vielleicht birgt dieser unangenehme Moment eine innere Schönheit, wenn Du ihn nur anders wahrnehmen würdest? Du verpasst vielleicht in diesem Moment die Menschen, die um Dich sind. Vielleicht ist dieser Ärger auch aus einem Missverständnis entstanden, und dann wäre es doch einfach verschwendete Lebenszeit, nicht in der Gegenwart zu sein!
Konnte ich Dich überzeugen, dass die Gegenwart sehr wichtig ist, egal, welche Form sie gerade hat?
Gefühle sind ein wesentlicher Teil von uns
Was also tun, wenn die Gefühle gerade nicht sehr angenehm sind? Denn das beeinflusst ja Deine Lebensqualität. Jetzt kommen wir zum wesentlichen Punkt:
Du bist nicht Deine Gefühle!
Sondern: Du erlebst Gefühle.
Und das ist eine sehr, sehr wichtige Unterscheidung. Du bist hier, die Gefühle sind dort. Und die Verbindung ist eine Wahrnehmung, ein Erleben.
Am besten kannst Du das spüren, wenn Du mit Deiner Aufmerksamkeit ganz in der Gegenwart bist.
Der Beobachter nimmt alles wahr
Woher kann ich das einfach so behaupten? Es ist meine Erfahrung, und ich habe es aus dem Studieren der fernöstlichen Philosophie gelernt. Aus langen Jahren der Meditation habe ich diese Einsicht gewonnen.
Der Schlüssel liegt ganz im Wissen: Ich WEIß, dass ich gerade glücklich bin. Ich WEIß, dass ich gerade ärgerlich bin.
Spüre die Ebene, die das gerade WEIß!
Genau genommen ist DAS das ganze Geheimnis!
Spüre hinein: „Ich bin mir bewusst, dass ich stolz auf mich bin.
Die-/der-/dasjenige, das sich einfach bewusst ist, dass jetzt stolz-sein da ist, ist eine andere Ebene als das Stolz-sein.
Im Alltag verstricken wir uns in unsere Gefühle
Diese bewusste, obere Ebene nehmen wir im Alltag selten ein. Es braucht Praxis dazu. Aber wenn wir es nur einmal für ein paar Sekunden tun, dann sind wir nicht mehr diese Gefühle, sondern wir beobachten sie!
Wenn wir vergessen zu beobachten, wie meist im Alltag, dann sind wir verstrickt! Dann sind wir Opfer. Dann sind wir in das Karusell eingestiegen, das sich dreht. Wir gehen vom Karussell zu den Boxautos zur Achterbahn. Und vergessen ganz, dass wir auf dem Jahrmarkt (der Gefühle) sind. Mit allen Aufs und Abs. Und viel hin- und her gerenne.
Aber wenn wir das Eingangstor mit dem großen Schild „Jahrmarkt“ sehen, dann sind wir erstmal in einem friedlichen Zustand. Und wenn wir uns dieses Jahrmarkts immer bewusst sind, können wir frei entscheiden, ob wir ein Glückslos kaufen wollen oder ins Gruselkabinett gehen. Und auch, wie lange wir jeweils darin bleiben wollen.
Wir kämpfen, solange wir an den Buden sind, um aufgrund des Schwungs oder des Widerstands einfach in die nächste Bude geschleudert zu werden. Mit dem verlorenen Bewusstsein, dass wir seit Ewigkeiten einfach nur auf einem Jahrmarkt sind.
Gegen diesen „Jahrmarkt“ ist gar nichts einzuwenden, solange wir das klare Bewusstsein haben, dass wir dort sind.
So können wir Angst, Gruseln, Ärger, Zorn, Glück, Freude, Aufregung oder Gelassenheit erleben und sind uns bewusst, dass diese in uns sind, nämlich als Teil von uns. Aber dass wir auf keinen Fall selbst diese Gefühle sind!
Das Sein ist erhaben
Unser Sein ist purer Frieden. Reine Erhabenheit. Durchströmt von unvergänglicher Glückseligkeit. Frei von Bedingungen. Frei von Zeit und Raum, an die vieles geknüpft ist.
Wenn wir diese Übung bewusst praktizieren, dass die Gefühle nur ein Teil unseres Wesens sind, werden wir mehr und mehr Frieden erfahren, tiefer und tiefer.
Das, was beobachtet, ist jenseits.
Das, was wahrnimmt, ist erhaben.
Das, was sich bewusst ist, ist wie der Ozean, auf dem sich die Wellen formen, er enthält Wellen, aber er ist mehr als die Wellen.
Die Übung an sich
Die Übung ist sehr einfach. Du brauchst jedoch einige Praxis und Erfahrung, um einen tiefen, nachhaltigen Effekt zu spüren. Aber es braucht wirklich nur eine einzige Sekunde, um diese Erfahrung zu machen!
Mache jetzt sofort beim langsamen Lesen mit:
Atme einmal tief ein und aus und sammle Deinen Geist.
Atme wieder ein und spüre, was ist (z. B. Enge im Bauch).
Atme aus und benenne Deinen Zustand, welche Emotion fühlst Du? (Z. B. Aufgeregtheit).
Atme ein und sehe die Emotion vom Abstand des Beobachters aus.
Atme aus und identifiziere Dich mit dem Beobachter. Du bist diejenige, die die Emotion lediglich beobachtet, also von der Warte des Beobachters aus. Spreche innerlich: „Ich weiß, dass (meine Emotion) da ist“.
Dann lass los, das Wissen und das neue Bewusstsein sind jetzt in Dir.
Wiederhole die Übung in einer anderen Situation.
Im Glück und im Unglück praktizieren
Wir neigen dazu, unsere schlechten Gefühle weg zu meditieren und an unseren guten Gefühlen zu hängen. Ich rate Dir: praktiziere diese Übung mit guten wie mit schlechten Gefühlen.
Gerade bei guten Gefühlen ist es wichtig, dass wir uns nicht an sie hängen. Denn die Gefahr ist groß, dass wir sie festhalten wollen. Außerdem sind wir auch nicht unsere guten Gefühle, sie sind ebenfalls nur ein Teil von uns.
Wie Wellen auf dem Ozean
In einer Sekunde kannst Du die Erfahrung machen, in den Ozean einzutauchen. Du siehst die Wellen, beobachtest sie, siehst sie spielen, sich verwandeln. Aber sie bestehen eben aus Wasser, das gerade ein Spiel spielt. Auf und ab, hoch und runter. Je öfter Du das wiederholst, umso friedvoller wirst Du. Du verlierst nichts von Deinen Gefühlen! Aber Du verlierst die Angst, ungute Zustände aufgeben zu müssen. Und Du gewinnst Gelassenheit, das anzunehmen, was ist. Gelassenheit, jenseits von Schuld, Angst oder Komplexen zu sein.
Mit Abstand kannst Du Dich dann gut um Deine Emotionen kümmern. Nach der Ursache forschen, voll Mitgefühl sein oder sie einfach nur genießen. Und ganz mit dem Fluss des Lebens schwimmen, nämlich der Veränderlichkeit.
Das ist Freiheit! Das ist friedvolle Gelassenheit.
Fazit
Der Beobachter in uns nimmt alles wahr, was ist. Gefühle sind ein Teil von uns. Wir sind nicht unsere Gefühle, sondern können das Bewusstsein entwickeln, dass sie in uns sind. Wenn wir angenehme wie unangenehme Gefühle von dieser Warte aus beobachten können, entwickeln wir Freiheit von dem, was ist. Das ist echte Unabhängigkeit und wahre Gelassenheit.
Kennst Du diese Übung? Hast Du solch eine Erfahrung schon einmal gemacht? Oder ist es neu für Dich? Mich interessiert Deine Meinung dazu, hinterlasse mir Doch einen Kommentar. Ich freue mich auf Deine Sichtweise.
Sei herzlich gegrüßt,
Susanne
Bildquelle: © VRD – Fotolia.com
Andrea Stracke
Danke für diesen Artikel, Susanne! Genau das fühle ich ziemlich oft: Orkan und hoher Seegang an der Oberfläche, dahinter, darunter jedoch der tiefe stabile Ozean, der einfach nur ist. Ziemlich neutral, das Ding. Keine Spur vom grossen Glück und der allumfassenden Seligkeit, aber abgrundtief friedlich.
Susanne
Danke für Deine Rückmeldung, Andrea! Vielleicht ist dieser Frieden schon eine große Seligkeit an sich?
Wie schön, dass Du das so erlebst. Meine Erfahrung ist: ich werde freier und gelassener, je öfter ich dieses friedliche Sein berühren kann. Egal, was für Stürme oben sind und wie lange sie dauern.
‚Abrundtief friedlich‘ – das klingt für mich auf jeden Fall sehr erstrebenswert, Ruhen im Sein.
Liebe Grüße
Susanne