Ist es schwierig, Bio zu leben? Ist es eine Herausforderung, auf Umwelt, Tier- und Pflanzenwelt Rücksicht zu nehmen, und es sich trotzdem gut gehen zu lassen?
Eine Leserin antwortete mir auf die letzte Ayurveda-Herzenspost und meinen Blogartikel So gehst Du Deinen Ayurveda-Weg mit folgender E-Mail. Der Text hat mich sehr berührt und viele eigene Gedanken angestoßen. Aus diesem Grund hatte ich sie gebeten, auf ihre E-Mail öffentlich anworten zu dürfen.
[…] Gerade im Zusammenhang mit Tierleid / vegetarisch oder vegan leben treibt mich das [Bewusstsein] seit geraumer Zeit um.Andererseits will ich für das Tierleid, das diese Industrie mit sich bringt, auch nicht mehr verantwortlich sein.
Das bedeutet aber, dass ich mir alle tierischen Produkte anschaue – einem für mich eigentlich gesunden Ziegenkäse, bei dem die Milch aus einer tierquälerischen Tierhaltung stammt (und dank des Booms gibt’s das inzwischen auch bei Schafen und Ziegen…), haftet ja die gleiche negative Energie an…
Im Moment bin ich so eine Art Bio-Veganer; ich esse gelegentlich tierische Produkte, aber nur aus Bio-Landwirtschaft, am liebsten in Demeter-Qualität, diesem Siegel vertraue ich noch am ehesten.
So weit, so gut; aber mit dem Achten darauf kamen die nächsten Themen: Beispielsweise wurde ausgerechnet eine Bio-Margarine (die ich zuvor oft und gerne gekauft hatte) irgendwann wegen ihres kritischen Palmöl-Anteils negativ bewertet.
Seitdem schaue ich auch da hin – und stelle fest, dass es „gesunde“ Margarine eigentlich nicht gibt; das ist alles eine fragwürdige Mischung von Stoffen, die zu nichts anderem dienen, als ein butterähnliches Produkt „nachzubauen“. Auch wieder nicht zufriedenstellend…
Und dann die Berichte über die Ausbeutung der ArbeiterInnen auf den Gemüseplantagen in Spanien: Schrecklich! Seitdem misstraue ich auch dem Bio-Gemüse, wenn es im Supermarkt nicht aus der Region, sondern aus Spanien kommt – was nützt mir ein Bio-Produkt, wenn die ArbeiterInnen dafür ausgebeutet wurden? Das will ich auch nicht.
Am Ende dieser Gedankenkette stelle ich manchmal seufzend fest, dass es anstrengend (und mitunter auch teuer) ist, auf all diese Dinge zu achten… (und natürlich absolut nicht kantinentauglich).
Andererseits denke ich manchmal, dass es ganz einfach ist – wenn ich mich nur auf das besinne, was wir hier in der Region haben, also regional und saisonal einkaufe. Das fällt in spätsommerlicher Fülle natürlich auch viel leichter als im Winter…
Wenn ich schaue, wo die „Fallen“ sind und wann es mir nicht gelingt, nach meinen eigenen Werten zu leben, dann sind das vor allem: Stress, Hektik, Erschöpfung, Bequemlichkeit – und der Druck, bei anderen nicht „komisch“ auffallen zu wollen.
Was mir hilft, sind dagegen immer wieder: Achtsamkeit, Achtsamkeit und Achtsamkeit… und Nachsicht mit mir selber, d.h. Freude an kleinen Schritten – und das Verzeihen von Rückfällen und „Ausrutschern“…
und nicht zuletzt: Menschen wie z.B. Du, die mir durch ihr Tun und Denken immer wieder Reflektionsmöglichkeiten bieten, an denen ich meine eigene Haltung immer wieder prüfen und mich ausrichten kann. Danke!
(eine Newsletter-Leserin)
Über diese E-Mail habe ich mich sehr gefreut, denn ich finde mich in ihr sehr wieder. Der folgende Blogpost ist nun meine Antwort darauf.
Die Falle lautet „Perfektion“
Wir könnten so viele Dinge berücksichtigen, wenn wir absolut und 100% verantwortlich, nachhaltig und umweltgerecht leben würden. Doch ist das wirklich realistisch?
Ich persönlich halte es für ein Projekt, das von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Spätestens dann, wenn wir uns ein schlechtes Gewissen machen, weil wir in Phasen mit weniger Energie bequem konventionelle Ware einkaufen.
Die Lösung lautet: Was ist das Beste, das ich in dieser Situation tun kann? Das Ziel ist dann nicht mehr eine imaginäre Perfektion, sondern es ist mein eigenes Ziel, das ich für mich definiert habe und mit dem es mir gut geht.
Du kannst nichts und niemandem nützen, wenn es Dir persönlich nicht gut geht.
Definiere also Dein eigenes Ziel. Wie umweltbewusst und nachhaltig willst und kannst Du leben? Was ist realistisch? Wo sind die Grenzen, die Du nicht überschreiten solltest, damit es Dir immer noch gut geht?
Natürlich könntest Du Dich jetzt auf diesen Gedanken hin einfach zurücklehnen und sagen: „Mir geht es gut, wenn ich nur dann nachhaltig lebe, wenn es gerade reinpasst.“ Das ist wäre nun auch nicht der Weisheit letzter Schluss, dazu folgen meine Gedanken weiter unten im Text.
Wie lebe ich denn?
Damit Du Dein Ziel für Dich definieren kannst, musst Du Dir eine Menge Fragen zu Deinen Rahmenbedingungen stellen.
- Wie sieht mein Berufsalltag aus?
- Wie ist meine familiäre Situation?
- Wieviel Geld ist in der Monatskasse?
- Wo ist der nächste Supermarkt mit einer Bioabteilung oder der Wochenmarkt?
- Vom Menschen welcher Einstellung bin ich umgeben?
- Welche Kraft und welches Vermögen habe ich selber?
Dann kannst Du für Dich herausausfinden, was im Moment machbar ist, so dass das ganze Freude bereitet und eine Bereicherung darstellt.
Lebe ich so, dass ich bereichert bin?
Freude an kleinen Schritten ist wunderbar! Sie ist positiv und bereichert Dich mit erfüllenden Gedanken.
Ein schlechtes Gewissen nützt niemandem etwas, auch den Tieren nicht. Selbstkasteiung würde das Leid nur vergrößern. Wenn wir uns innerlich verurteilen, haben wir nicht nur z. B. das Tierleid, sondern obendrauf noch unser eigenes. Das Tierleid ist damit nicht weniger geworden.
Frage Dich immer: Bin ich positiv eingestellt? Lebe ich konkruent, äußerlich wie innerlich? Sei gut zu Dir! Aus einer Haltung der Güte kannst Du anderen am ehesten helfen.
Meine mathematische Formel
Dass wir perfekt sein wollen, ist bei den meisten von uns tief im Unterbewusstsein angelegt. Warum würden wir sonst Frust fühlen, wenn wir etwas nicht schaffen?
Deswegen erinnere ich mich immer an die folgende Formel:
+3% > – 100%
Also plus drei Prozent sind größer als minus einhundert Prozent.
Damit meine ich: 3% die wir tun sind größer als 100% die wir unterlassen. 100% Perfektion im Geiste bringen nichts, besser sind 3% Tun in Freude, am besten mit Regelmäßigkeit und als Basis, damit es im Laufe der Zeit mehr werden darf.
Bewusstsein entwickelt sich langsam und organisch
Je bewusster Du lebst, umso mehr wirst Du Deine Fähigkeiten ausbauen können. Wenn Dein Bewusstsein positiv ist, entwickelt es sich organisch nach vorne, das heißt in Einklang mit Dir und Deinem Umfeld.
Bewusstsein ist nichts, das wir über’s Knie brechen können. Wir müssen mit den Erkenntnissen und Einsichten, die wir bekommen, innerlich mitwachsen können. Sachen, die wir heute noch für unverzichtbar halten, sind es in ein paar Monaten vielleicht nicht mehr. Aber auch nur dann, wenn wir es uns erlauben, dass diese Dinge erst einmal da sein dürfen. Gegen Widerstände ist keine Entwicklung möglich, sondern nur durch Bereitschaft, Annehmen und tiefes Wollen.
Erweitere Deine Fähigkeiten
Oben habe ich geschrieben, dass es Dir zuerst gut gehen soll, dass das aber auch nicht heißt, dass wir uns bequem zurück lehnen und so wenig wie möglich tun.
Wir müssen für uns heraus finden, was uns möglich ist. Manchmal erfrischt es das Herz, wenn es sich etwas hingeben kann, ohne dass diese eine Sache zur Belastung wird. Vielleicht kaufen wir nicht mehr im Supermarkt, weil uns der Verpackungsmüll zuviel ist, stattdessen nehmen wir einen Umweg in Kauf, um zum Wochenmarkt zu gelangen. Wir fühlen uns wohl, weil wir einen Einsatz geleistet haben und leisten können.
So kannst Du Deine Fähigkeiten langsam ausbauen und besser und besser werden. Im Laufe der Zeit wirst Du Dich selbst übertreffen.
Was ist Dein unverhandelbares Minimum?
Du kannst auch für Dich definieren, was Dein unverhandelbares Minimum ist. Für mich ist es Fleischessen – ich würde lieber ein paar Tage Hunger leiden als in ein totes Tier zu beißen. Was ist es für Dich? Stufe für Dich ein: Was muss sein, was soll sein und was darf sein?
Es verwandelt uns innerlich
Wenn wir bewusst und im speziellen umweltbewusst leben, verwandelt es uns innerlich. Es ist wie ein Feuer, in dem unsere negativen Eigenschaften verbrennen. Warum sind wir denn in Stress, Hektik und Erschöpfung? Weil Überforderung, Sorge, Ängste, Unruhe, Leistungsdenken etc. viel Macht über uns haben.
Je mehr wir uns einem guten Zweck widmen, umso mehr können wir uns hingeben und positive Eigenschaften in uns aufnehmen. Loslassen, Toleranz und Selbstachtung gehören dazu.
So wie Greta Thunberg. Auch sie hat sich sicherlich sehr entwickelt, um den großen Rummel um Fridays For Future und ihre Person zu ertragen. Ihr Anliegen, die Rettung unseres Planeten, lässt sie sicherlich eine Menge emotionales Feuer aushalten lassen; das Positive siegt jedoch über die inneren Gefühle und Bedenken; das Feuer unseres Anliegens muss nur stark genug sein.
Ich sage jetzt nicht, dass wir alle so große Aktivisten wie Greta Thunberg sein müssen – mir geht es darum, dass wir das Maximum dessen tun, was in unserer Macht und Kraft liegt – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Mitgefühl ist ein wesentlicher Schlüssel
Umweltbewusstsein und Mitgefühl haben sehr viel miteinander zu tun. Wir brauchen ein weiches, mitfühlendes Herz, damit wir zum Handeln bereit sind und das Handlungsergebnis auch tatsächlich in Kauf nehmen.
Kein Fleisch mehr essen mag am Anfang eine sinnliche Einschränkung sein – wenn wir das aus vollem Herzen tun, nehmen wir es auch gerne in Kauf.
Ein gewohntes Produkt nicht mehr zu kaufen, das umweltschädlich ist oder die Gesundheit nicht fördert, ist bestimmt eine Umstellung, wenn unser Herz jedoch den Weg weist, warum wir dies tun, wird es auf einmal ganz leicht.
Immer eine Einkaufstasche dabei zu haben (am besten eine faltbare in der Handtasche) mag am Anfang umständlich sein, doch es wird schnell zur Gewohnheit.
So ist es mit allen Dingen. Habe Mitgefühl mit Dir und den Tieren oder der Erde, für wen auch immer Du Deine Aktivitäten unternimmst – so bereichert es Dich schlussendlich ungemein.
Was ist „gutgehen“ überhaupt?
Es kann Dir innerlich gutgehen oder sinnlich. Kennst Du den Unterschied? Oft ist es so, dass sinnliches Gutgehen über allem steht. Vor allem in unserer Gesellschaft wird es hoch gelobt. Wohl duftend, gut aussehen, eine schöne Stimme haben, jugendlich erscheinen, eine weiche Haut haben etc.
Doch innerlich kann es uns gut gehen, auch wenn wir diese Dinge alle nicht besitzen. Weil wir glücklich sind. Weil wir uns in unserer Haut wohl fühlen. Weil wir unsere Werte leben. Oder weil wir integer sind.
Lebst Du umweltbewusste / gesundheitliche Werte, wird es sicherlich nicht so oft anerkannt werden. Du verzichtest auf Kunststoff, Abfall, Fleisch oder Alkohol und entscheidest Dich für die nachhaltige Variante: Wiederverwendbar, pflanzlich, gesund oder wohltuend.
Doch ist solche Form von Anerkennung wichtig? Welche Werte lebst Du? Deine eigenen oder die der anderen? Ich weiß, wie es anfangs ist, anders als die anderen zu sein und nicht im Mainstream mitzumachen. Heute bin ich total selbstbewusst und sogar stolz, wenn ich Saft statt Alkohol trinke, auf den Kuchen verzichte weil ich zwar Milchprodukte esse aber keine Eier oder Tee statt Kaffee trinke.
Es ist mein Entscheidung, da es ja auch mein Leben ist.
Es war nicht immer so, ich habe mich dahin entwickelt, mit Versuch und Irrtum. Auf jeden Fall bin ich persönlich an meinen Werten und in diese hinein gewachsen.
Jeder von uns ist nur ein Mensch
Verzeihen ist das Wichtigste. Denn wir sind Menschen mit Stärken und Schwächen, mit guten und schlechten Tagen. Was mir heute gelingt, mag morgen nicht klappen, übermorgen sieht es vielleicht schon wieder ganz anders aus.
Was zählt ist die Absicht und die Summe der guten Tage, und diese können wir täglich ausbauen.
Fazit
Auf alles Nachhaltige und Gesunde zu achten ist unmöglich, doch Schritt für Schritt können wir besser werden. Freude ist dabei unser Motor und unsere Werte sind der Kompass, die uns leiten. Wenn wir uns so weiterentwickeln, wird sich unser Mut aufbauen, dass wir größere Aktivitäten in Bewegung setzen können. Das macht uns zufrieden – und die Umwelt freut es auch.
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